3. Integrierte Versorgung in der GKV: Entwicklung, Stand und Perspektiven
38. Der Rat hat in seinem JG 2003 (Ziffer 647ff.) bereits mehrere Vorschläge für eine zielorientierte Weiterentwicklung der Versorgungsstrukturen unterbreitet und der Gesetzgeber setzte zwischenzeitlich einen Großteil dieser Empfehlungen um. Die in den letzten Jahren verabschiedeten Gesetze, d. h. vor allem das GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) vom 14.11.2003, das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (VÄndG) vom 22.12.2006 und das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) vom 26.03.2007 schufen einen deutlich verbesserten Rechtsrahmen für die integrierte Versorgung und damit zugleich für einen effizienz- und effektivitätssteigernden Wettbewerb an den Schnittstellen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung. Die Krankenkassen und Leistungserbringer finden als potentielle Vertragspartner inzwischen zumindest ausreichende ordnungspolitische Voraussetzungen vor, um innovative Versorgungskonzepte umzusetzen bzw. entsprechende Projekte zu starten.
39. Obgleich mittlerweile (Ende 1. Quartal 2007) alleine zu den integrierten Versorgungsformen nach § 140a-d SGB V ca. 3.500 Anträge vorliegen und sich hier auch bei einigen ,Leuchtturmprojekten' gewisse Erfolge abzeichnen, vermag eine Zwischenbilanz des bisher Erreichten unter gesundheitlichen und ökonomischen Aspekten noch nicht zufrieden zu stellen. Da die integrierten Versorgungsformen zur Regelversorgung gehören, sieht das Gesetz bei den entsprechenden Projekten - im Unterschied zu den Modellvorhaben nach §§ 63-65 und den strukturierten Behandlungsprogrammen nach § 137f-g - keine obligatorische Evaluation der Programme bzw. Netze vor. Wo dies freiwillig geschieht, deuten selbst die publizierten Ergebnisse nicht auf den angestrebten Durchbruch zu einer effizienteren oder effektiveren Patientenversorgung hin. Es existiert an den Schnittstellen der verschiedenen Leistungssektoren weiterhin ein beachtliches, nicht ausgeschöpftes Rationalisierungspotential, dessen Realisierung u. a. durch einen intensiveren Wettbewerb erleichtert werden könnte. In diesem Kontext bestehen noch immer Defizite bezüglich der Transparenz, die Versicherte und Patienten über allfällige Versorgungsoptionen und Leistungsqualitäten besitzen, bei den Wettbewerbsparametern der Krankenkassen, den Vergütungssystemen der Leistungserbringer, der Qualitätssicherung, der Arzneimitteldistribution, dem Verhältnis der einzelnen Varianten integrierter Versorgung zueinander und der zielgerichteten Kooperation der unterschiedlichen Akteure.
40. Ebenso wie der Wettbewerb stellt auch die integrierte Versorgung in all ihren Varianten keinen Selbstzweck, sondern ein Mittel zur Realisierung von gesundheitlichen und ökonomischen Zielen dar. Dies bedeutet, dass Projekte zur integrierten Versorgung nicht per se den Zielkriterien genügen, sondern erst über ihr Verhältnis von gesundheitlichen Outcomes zu Ressourceneinsatz ihre Effizienz und Effektivität nachweisen können und normativ betrachtet auch müssen. Die meisten Projekte zur integrierten Versorgung weisen, wie nahezu das gesamte deutsche Gesundheitswesen, noch immer ein spürbares Defizit an Outcome- bzw. Zielorientierung auf. Dabei beinhalten Outcomeindikatoren - in möglichst quantitativer Form - den gesundheitlichen Nutzen bzw. die entsprechende Wohlfahrt, die den Patienten und Versicherten aus der Gesundheitsversorgung oder bestimmten Gesundheitsleistungen erwächst. Im Verhältnis zu den Outcomeindikatoren, die Lebenserwartung und -qualität der Patienten und Versicherten widerspiegeln, kommt den Managementindikatoren, die auch die speziellen Versorgungsformen und gesundheitliche Strategien umfassen, unter Zielaspekten nur instrumentale Bedeutung zu.
41. Die Projekte zur integrierten Versorgung bedienen sich in unterschiedlicher Form und Intensität gewisser Elemente von Managed Care. Hierzu gehören neben einem breiten Spektrum von Aktionsparametern der Krankenkassen im Bereich der Vertrags- und Leistungsgestaltung vornehmlich eine sektorübergreifende Koordination und Kooperation zwischen allen am Behandlungsablauf Beteiligten, eine Patientensteuerung, selektives Kontrahieren der Krankenkassen mit ausgewählten Leistungserbringern, pauschale Vorausvergütungen in Form von Capitation oder Komplexpauschalen für abgegrenzte Leistungsbündel sowie eine intensive Qualitätssicherung. Managed Care umfasst nach der hier gewählten Definition neben indikationsübergreifenden, populationsbezogenen Versorgungsnetzen u. a. Disease Management und Case Management. Dabei bezieht sich Disease Management auf Patientengruppen mit bestimmten gleichartigen, zumeist chronischen Krankheiten, während sich Case Management auf einzelne komplizierte und zumeist kostenintensive Krankheitsfälle konzentriert.
42. Tabelle 1 gibt einen synoptischen Überblick über die Managed Care-Elemente in den 'besonderen Versorgungsformen'. Obgleich mit Ausnahme der Modellvorhaben alle diese Versorgungsformen zur Regelversorgung gehören, besitzen mehrere von ihnen eine fach- und sektorübergreifende Orientierung und erlauben ein selektives Kontrahieren sowie ex- oder implizit eine Vergütung der Leistungserbringer durch Capitation bzw. Komplexpauschalen. Allerdings schreiben nur die zeitlich befristeten Modellvorhaben und strukturierten Behandlungsprogramme eine Evaluation der jeweiligen Programme durch unabhängige Sachverständige verpflichtend vor. Die Möglichkeiten, selektiv zu kontrahieren, schließt nur bei den integrierten Versorgungsformen Kollektivverträge bzw. die Mitwirkung der KVen grundsätzlich aus. Der Sicherstellungsauftrag der KVen kann dagegen bei drei Versorgungsformen eine Einschränkung erfahren.
43. Verglichen mit den bestehenden Allokationsprozessen in der GKV zielen die Projekte zur integrierten Versorgung auch darauf ab, die Effizienz und Effektivität des deutschen Gesundheitswesens über eine Intensivierung des Wettbewerbs der Krankenkassen und Leistungserbringer zu verbessern. Dies bedingt sowohl eine Zunahme der Wettbewerbsparameter von Krankenkassen und Leistungserbringern als auch eine tendenzielle Verlagerung der Allokationsentscheidungen von der Makro- über die Meso- auf die Mikroebene. An die Stelle des gemeinsamen und einheitlichen Handelns oder der korporativen Steuerung treten dann verstärkt dezentrale Verhandlungen und damit ein Vertrags- und Versorgungswettbewerb mit selektivem Kontrahieren. Dabei geht es nicht um einen Ersatz der Kollektivverträge durch selektive Kontrahierung und damit einhergehend um eine Abschaffung der kassenärztlichen Vereinigungen (KVen). Selektive Vertragsverhandlungen können, wie im JG 2005 (Ziffer 38ff.) gezeigt, viel mehr auch innerhalb eines kollektivvertraglichen Rahmens erfolgen und ebenso mit der korporativen Koordination in Wettbewerb treten.
44. Die integrierte Versorgung beinhaltet sowohl die integrierten Versorgungsformen nach 140a-d SGB V, als auch die Strukturverträge nach § 73a SGB V sowie die Modellvorhaben und die strukturierten Behandlungsprogramme. Dabei stehen derzeit infolge ihrer ausgeprägten Anreizstrukturen die integrierten Versorgungsformen und die strukturierten Behandlungsprogramme nach § 137f-g stärker im Mittelpunkt des Interesses der Vertragsparteien. Bei den strukturierten Behandlungsprogrammen, die auf eine integrierte Versorgung chronisch Kranker abzielen, handelt es sich um eine Variante von Disease Management-Programmen, Solche indikationsspezifischen Behandlungsprogramme können die Vertragsparteien aber auch mit Hilfe von integrierten Versorgungsformen oder Modellvorhaben durchführen. Die strukturierten Behandlungsprogramme bilden somit nur eine Teilmenge von Disease Management-Programmen (DMP) und zwar jene Variante, die eine Anbindung an den Risikostrukturausgleich (RSA) aufweist.
Tabelle 1: Managed Care-Elemente in den besonderen Versorgungsformen
Versorgungsformen | herkömmliche Versorgung | Strukturverträge | Modellvorhaben | hausarztorientierte Versorgung | besondere ambulante Versorgung | integrierte Versorgungs-formen | strukturierte Behandlungs-programme |
---|---|---|---|---|---|---|---|
Elemente | |||||||
Rechtsgrundlagen | SGB V | § 73a | §§ 63-65 | § 73b | § 73c | § 140a-d | § 137f-g |
Freiwilligkeit des Angebotes | x | x | x | x | x | ||
interdisziplinär fachübergreifend angelegt | x | x | X | X | X | ||
sektorübergreifende Orientierung | X | X | X | ||||
selektives Kontrahieren möglich | X | X | X | XX | |||
Kollektivverträge möglich | X | X | X | (X)a) | X | X | |
eingeschränkter Sicherstellungsauftrag der KVen | X | X | X | ||||
besondere finanzielle Anreize | X | X | |||||
verpflichtende Evaluation | X | X | |||||
zeitliche Befristung | X | X | |||||
Capitation möglich | X | X | (X)b) | (X)b) | x |
45. Über die speziellen Organisationsformen integrierter Versorgung hinaus eröffnete der Gesetzgeber den Krankenhäusern in den letzten Jahren vielfältige Möglichkeiten, um an der ambulanten Versorgung teilzunehmen. Dies gilt vor allem für das ambulante Operieren, die ambulante Erbringung hochspezialisierter Leistungen und die medizinischen Versorgungszentren (MVZ) nach § 95 Abs. 1. Von den derzeit (Ende 2006) 666 MVZ-Zulassungen befinden sich 29 % in reiner Trägerschaft der Krankenhäuser, aber erst 7 % aller Krankenhäuser gründeten ein MVZ. Den niedergelassenen Vertragsärzten ermöglicht das VÄndG über eine modifizierte Zulassungsordnung die Bildung von leistungsfähigen Behandlungsnetzen, ohne sich dabei eines MVZ bedienen zu müssen. Im GKV-WSG verdient in diesem Zusammenhang die besondere ambulante ärztliche Versorgung spezielle Beachtung. In ihrem Rahmen können die Krankenkassen alleine oder in Kooperation mit anderen Kassen Verträge abschließen, die sowohl populationsbezogen die gesamte ambulante ärztliche Versorgung als auch indikationsbezogen einzelne Bereiche derselben beinhalten. Im Rahmen der besonderen ambulanten ärztlichen Versorgung können die KVen ebenfalls als Vertragspartner der Krankenkassen fungieren, während die integrierten Versorgungsformen solche Kollektivverträge ausschließen (s. Tabelle 1).
46. Für eine erfolgreiche Umsetzung der integrierten Versorgungsformen beseitigte das GMG nicht nur die bis dahin bestehenden Schwächen der Rahmenordnung, sondern trug darüber hinaus mit der einprozentigen Anschubfinanzierung auch zu einer zusätzlichen Verbesserung der Anreizstruktur bei. Das VÄndG verlängerte diese Anschubfinanzierung bis Ende 2008 und das GKV-WSG ermöglicht den Krankenkassen, erheblich erweiterte Wahltarife anzubieten, die vor allem im Rahmen der integrierten Versorgung zum Einsatz kommen können. Mit der Vorschrift, dass die Krankenkassen jeden einzelnen Wahltarif aus spezifischen Einsparungen finanzieren müssen, möchte der Gesetzgeber hier einer nahe liegenden Risikoselektion vorbeugen. Die entsprechenden Berichte bzw. Evaluationen versprechen eine breitere Informationsbasis über die bisher umstrittene Eignung dieser Tarifform in der GKV.
47. Infolge der attraktiven Anschubfinanzierung stiegen die bei der Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung (BQS) registrierten Verträge zu den integrierten Versorgungsformen von 613 im ersten Quartal 2005 auf 3.498 im ersten Quartal 2007. Bei diesen Verträgen handelt es sich zu fast 99 % um indikationsbezogene, die überwiegend chirurgische Eingriffe, z. B. bei Hüft- und Kniegelenksendoprothetik, vorsehen. Im Gegensatz hierzu fordert die Sollvorschrift im GKV-WSG in diesem Rahmen eine "bevölkerungsbezogene Flächendeckung der Versorgung". Von den ca. 4,07 Mio. eingeschriebenen Versicherten (Stand: 1. Quartal 2007) befinden sich allerdings über die Hälfte in Verträgen zur Hausarzt- und fachübergreifenden Versorgung, obwohl diese nur gut 1 % aller Verträge ausmachen. Ob und inwieweit hausarztbasierte Modelle die Kriterien der integrierten Versorgungsformen in einzelnen Fällen erfüllen, ist umstritten. Die reine hausarztzentrierte Versorgung nach § 73b SGB V, die Mitte 2007 ca. 1,3 Mio. Versicherte einschloss, gehört eindeutig nicht zur integrierten Versorgung. Hausarztbasierte Modelle lassen sich allerdings um Module der anderen besonderen Versorgungsformen ergänzen und auf diese Weise in die integrierte Versorgung überführen. Da an den strukturierten Behandlungsprogrammen Ende 2006 ca. 2,69 Mio. Versicherte teilnahmen, beläuft sich die Gesamtzahl der Versicherten in den besonderen Versorgungsformen inzwischen auf über 8 Mio.
48. Im Unterschied zu indikationsbezogenen Projekten besitzen populationsbezogene, die sich in der Region an alle Versicherten der jeweils kontrahierenden Krankenkasse richten, den Vorzug, die Versorgungsqualität umfassend ermitteln und optimieren zu können. Als Benchmark bzw. Bewertungsmaßstab kann die gesundheitliche Entwicklung von nicht eingeschriebenen Versicherten in derselben oder anderen Region(en) dienen. Ein solches populationsbezogenes Netz vermag auch allfällige Sach-, Arznei- und Hilfsmittel sowie Medizingeräte und -produkte kostengünstig einzukaufen.
49. Komplexe populationsbezogene Versorgungsnetze sehen in der Regel einen von Versicherten gewählten konstanten (ärztlichen) Ansprechpartner vor, wobei es sich zumeist, aber nicht zwangsläufig um einen Hausarzt handelt. Dieser Arzt sieht sich dann gezwungen, vielfältige neue Funktionen zu übernehmen und seine Kenntnisse über Multimorbidität zu erweitern, was vor allem älteren Patienten zugute kommt. Die erfolgreiche Ausübung einer solchen Gatekeeper-Funktion erfordert neben Engagement breites differentialdiagnostisches Wissen, psychosoziale Kompetenzen, und darüber hinaus die Kenntnis regionaler Hilfs- und Unterstützungsorganisationen.
50. Die strukturierten Behandlungs- bzw. Disease Management-Programme stellen unter medizinischen und ökonomischen Aspekten eine Variante der integrierten Versorgung dar. Derzeit existieren sechs solcher DMP, d. h. für die Indikationen Diabetes mellitus Typ 1 und Typ 2, Brustkrebs, koronare Herzkrankheit, Asthma und chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD). Sie unterscheiden sich von anderen Ansätzen integrierter Versorgung vornehmlich durch ihre Anbindung an den RSA. Durch Einschreiben von chronisch Kranken in ein DMP Diabetes Typ 2, koronare Herzkrankheit oder Brustkrebs wächst der spezielle Beitragsbedarf einer Krankenkasse um durchschnittlich 250 % bzw. 252 % sowie 376 % an. Die Krankenkassen besitzen daher einen hohen finanziellen Anreiz, die DMP mit Hilfe der KVen flächendeckend umzusetzen und alle chronisch Kranken zu einer Einschreibung zu bewegen. Die Verknüpfungen von DMP und RSA führt insofern statt zu dem angestrebten Qualitäts- zu einem Einschreibewettbewerb der Krankenkassen. Zudem droht die Beschränkung auf nur sechs chronische Krankheiten die Versorgung anderer zu diskriminieren, was sowohl für bestimmte Patienten, als auch für spezielle Leistungserbringer und Krankenkassen eine Benachteiligung darstellen kann. Schließlich verhinderte die uniforme Ausgestaltung der DMP erfolgversprechende dezentrale Suchprozesse und lässt damit wettbewerbliche Potentiale unausgeschöpft.
51. Obgleich die Ergebnisse von internationalen empirischen Studien über die Effekte von DMP unterschiedlich ausfallen, lassen diese Befunde den Schluss zu, dass DMP grundsätzlich die Effizienz und Effektivität auch des deutschen Gesundheitswesens verbessern können. Hierzu bedarf es allerdings geeigneter Anreizstrukturen und einer zielorientierten Kooperation aller Beteiligten. Aus dieser Perspektive stehen nicht die DMP als solche zur Diskussion, sondern ihre derzeitige Ausgestaltung und hier vor allem die Anbindung an den RSA, die mit uniformen Programmen und einer mangelnden Risikostratifizierung einhergeht. Die externen Evaluationen durch unabhängige Sachverständige, zu denen der Gesetzgeber die Krankenkassen bei den DMP verpflichtet, dürften erst Mitte 2007 vorliegen. Erste Publikationen der Krankenkassen deuten zwar auf eine gestiegene Zufriedenheit der Patienten sowie einige verbesserte Surrogatparameter, aber nicht auf ein insgesamt überzeugendes Nutzen-Kosten-Verhältnis der DMP hin. Angesichts ihres erheblichen Verwaltungsaufwandes bildet nicht ein Verzicht auf DMP hier die adäquate Benchmark, sondern andere Versorgungsformen, wie Modellvorhaben, integrierte Versorgungsformen und in deren Kontext Case Management. Sofern der RSA die im GKV-WSG vorgesehene Ausdifferenzierung erfährt, läuft die Anbindung der DMP an den RSA Ende 2008 aus.
52. Da die Schweiz und die USA bereits über längere und umfangreichere Erfahrungen mit Managed Care-Ansätzen verfügen, bietet es sich an, die Entwicklung von integrierten Versorgungsmodellen in diesen Ländern zu beleuchten und nach umsetzbaren Erkenntnissen für die deutsche Gesundheitsversorgung zu überprüfen. Entgegen den ursprünglich weitaus optimistischeren Prognosen lag in der Schweiz der Marktanteil von Managed Care-Modellen im Jahre 2005 nur bei 12,1 %. Innerhalb dieser Managed Care-Ansätze dominieren die Hausarztmodelle mit 6,7 %, während die klassischen Health Maintenance Organizations (HMO) nur 1,4 % erreichen. Unbeschadet des Verbreitungsgrades bescheinigen Studien den HMO ein höheres Kostensenkungspotential als den Hausarztmodellen. Die Erfahrungen in der Schweiz zeigen, dass Wahltarife durchaus in einem regulierten Wettbewerb mit anderen Versicherungsformen bestehen können. Dabei zeigt sich generell, dass die Krankenkassen eher mit der Qualität der Behandlung als mit Prämienzahlungen werben sollten. Die Managed Care-Modelle gewinnen für die Versicherten an Attraktivität, wenn sie ihnen erlauben, im Einzelfall gegen Zuzahlung auch einen netzexternen Leistungserbringer aufzusuchen. Die schweizerische Gesetzgebung sah davon ab, die Krankenkassen zu einem Angebot bestimmter Managed Care-Modelle zu verpflichten. Der Wettbewerb als Suchprozess führte dazu, dass die Krankenkassen Modelle, die ihre Erwartungen nicht erfüllten, wieder vom Markt nahmen.
53. In den USA bildeten die Gründung und Ausbreitung von Managed Care-Organisationen (MCOs) eine Reaktion auf stark steigende Gesundheitsausgaben und Qualitätsmängel in den achtziger Jahren. Im Unterschied zur Schweiz konnten die MCO in den USA inzwischen einen Marktanteil von 93 % erzielen und damit die herkömmliche Krankenversicherung nahezu verdrängen. Innerhalb der MCOs schrumpfte der Anteil der Health Maintenance-Organisationen (HMOs) zwischen 1996 und 2006 von 31 % auf 20 %. Dagegen nahmen die Anteile der Prefered Provider-Organisationen (PPOs), die den Versicherten größere Freiheiten bei der Wahl der Leistungserbringer einräumen, in diesem Zeitraum von 28 % auf 60 % zu. Da in den USA die Arbeitgeber den überwiegenden Teil der Versicherungsprämien zahlen, spiegeln der jeweilige Leistungskatalog und die Modalitäten seiner Inanspruchnahme auch die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt wider. Der angestrebten Effizienzsteigerung der Versorgung standen häufig ein Mangel an qualifizierten Netzen auf der Anbieterseite, ein unzureichender Wettbewerb der Krankenversicherungen und die Marktmacht der Anbieter entgegen. Es zeigte sich u. a., dass die reine Integration von Krankenhäusern und ambulanten Ärzten bei fehlendem Wettbewerb zwischen den Netzanbietern keine Effizienzgewinne erzeugt. Diese Situation liegt z. B. vor, wenn alle Krankenkassen - ähnlich wie bei den strukturierten Behandlungsprogrammen in Deutschland - mit denselben Anbieternetzen Verträge abschließen. Infolge des hohen Marktanteils der MCOs in den USA spielen wettbewerbspolitische und -rechtliche Aspekte auf der Anbieter- und Nachfrageseite eine erhebliche Rolle. Unabhängig von der Frage der Unternehmereigenschaft von Krankenkassen bzw. der Gültigkeit des funktionalen Unternehmensbegriffs legen die amerikanischen Erfahrungen bei kompetitiven Märkten die Notwendigkeit einer Flankierung durch das Wettbewerbs- und Kartellrecht nahe. Die Entwicklung zu einem stärker wettbewerblichen System bedarf, um Fehlentwicklungen mit Folgeschäden zu verhindern, einer adäquaten ordnungspolitischen Rahmenordnung.