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Sachverständigenrat fordert Gesetz zur besseren Nutzung von Gesundheitsdaten

Bei einem digitalen Symposium am 17. Juni 2021 forderte der Sachverständigenrat Gesundheit, ein Anrecht von Patientinnen und Patienten auf bestmögliche Nutzung ihrer Gesundheitsdaten gesetzlich zu verankern. Das Gesetz soll sicherstellen, dass Gesundheitsdaten besser als bisher zum Schutz von Leben und Gesundheit verwendet werden. Zugleich soll der Missbrauch von Daten durch höhere technische Datensicherheit und härtere Strafen verhindert werden.

Um diese Ziele zu erreichen, soll nach Ansicht des Rates die elektronische Patientenakte (ePA) grundsätzlich für alle Bürgerinnen und Bürger eingerichtet werden. Jeder Nutzer hätte allerdings das Recht, der Einrichtung jederzeit zu widersprechen (erste Opt-out-Option) oder Inhalte derselben gegenüber einzelnen Leistungserbringenden gezielt zu „verschatten“ (zweite Opt-out-Option). So würden die Informationen nicht unwiederbringlich gelöscht, vielmehr kann der oder die Versicherte später bei Bedarf noch darauf zurückgreifen bzw. anderen den Zugriff wieder gewähren. Zugleich könnten diese Daten von einem Forschungsdatenzentrum treuhänderisch verwaltet, geschützt und Forschenden anonymisiert oder pseudonymisiert zur Verfügung gestellt werden.

Derzeit gilt ein kompliziertes Verfahren, bei dem Versicherte immer wieder neu zustimmen müssen, ob einzelne Inhalte überhaupt in ihre Akte eingetragen werden und welcher von ihnen aufgesuchte Leistungserbringer diese einsehen darf. Nach Einschätzung des Rates führt dieses formalistische Verfahren zu einem Datenflickenteppich, über den Forschung und Versorgung immer wieder stolpern werden. Zu viele – oft lebenswichtige – Informationen für patientenwohldienliche Forschung und Versorgung fehlen oder sind nicht aktuell.

„Auch der Rat hält es für unerlässlich, dass Daten nicht in falsche Hände geraten. Aber sie müssen in die richtigen Hände gelangen können, in Hände, die Leben und Gesundheit schützen wollen,“ bekräftigte der Vorsitzende des Sachverständigenrats, Prof. Dr. med. Ferdinand Gerlach. „Ob im Notfall, in der Regelversorgung oder in der Pflege: Patienten können dann am besten behandelt werden, wenn alle notwendigen Gesundheitsdaten vollständig und aktuell zur Verfügung stehen. Die bisherigen gesetzlichen Regelungen reichen dafür nicht aus. Das weltfremde Dogma der Datensparsamkeit erschwerte auch eine möglichst gezielte Pandemiebekämpfung. So konnten – neben Leben und Gesundheit – andere Werte wie Kultur, Bildung und Arbeit ebenfalls nicht optimal geschützt werden.“

Gerlach weiter: „Der Rat hält ein Umdenken in Sachen Digitalisierung für dringend geboten. Die Erfahrungen in anderen EU-Staaten zeigen, welche Vorteile für das Patientenwohl aus ähnlichen Regelungen entstehen können, wie wir sie vorschlagen. Der Schutz von Daten darf nicht länger losgelöst, ja getrennt werden von Leben und Gesundheit der Menschen, zu denen die Daten gehören. In Politik und Gesellschaft sollte hierüber offen diskutiert werden. Datenschutz ist nicht nur als Recht auf Schutz vor Datenmissbrauch zu verstehen, sondern vor allem als Recht auf verantwortliche Datenverarbeitung – zum Wohle des einzelnen wie aller Patientinnen und Patienten. Die bislang vertretenen Konzepte von Datensparsamkeit und unmittelbarer Zweckbindung sind lebensfremd, irreführend und manchmal sogar schädlich. Datensicherheit, technisch und rechtlich gewährleistet, sollte zur neuen Norm werden. Die Digitalisierung des Gesundheitswesens muss daher strategisch weiterentwickelt werden. Der Rat hat die Ziele und notwendigen Rahmenbedingungen dafür skizziert. Die EU-Datenschutzgrundverordnung ermöglicht gesetzliche Regelungen, die den Menschen helfen – nicht Hilfe behindern. Wir hoffen, dass der neu gewählte Bundestag diese Möglichkeiten nutzt und ein Gesundheitsdatennutzungsgesetz verabschiedet. Unsere Empfehlungen für eine patientenwohldienliche Digitalisierung der Gesundheitsversorgung liefern eine Blaupause.“

Seine wichtigsten Konzepte stellte der Rat heute in einem Symposium vor und diskutierte sie mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, Dr. Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Dr. Thomas Kriedel, Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und Dr. Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Fragen und Anmerkungen der digital Teilnehmenden übermittelten zwei Publikumsanwältinnen an die Podiumsrunde.

Grundsätzlich gab es viel Zustimmung zu den Empfehlungen des Rates: Der Grundgedanke, Gesundheitsdaten für bessere Forschung und Versorgung sicher nutzbar zu machen, wurde begrüßt. Zur Frage „Opt-out statt Opt-in?“ gab Frau Dr. Pfeiffer allerdings zu bedenken, ob eine gesellschaftliche Debatte hierüber die derzeitige Einführung der ePA nicht überfrachte. Minister Spahn konnte sich vorstellen, dass der Ratsvorschlag eines Gesundheitsdatennutzungsgesetzes in der nächsten Legislaturperiode politisch aufgegriffen werden wird.

Das aktuelle Gutachten sowie weitere Informationen zum SVR und die Vortragsfolien des Symposiums finden sich unter www.svr-gesundheit.de. Hier wird demnächst auch der Video/Audio-Mitschnitt der Veranstaltung abrufbar sein.

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